BaFin: Rede des Präsidenten – lesenswert

Jochen Sanio ist nicht irgendwer, nein Jochen Sanio ist Präsident der BaFin.

Deshalb horchen viele aus der Finanzwelt immer dann besonders hin, wenn er eine Rede hält. Daraus kann man nicht nur seinen Standpunkt ableiten, sondern auch erkennen, was der BaFin im nächsten Jahr wichtig ist.

Text der Rede:
Es ist ein Brauch von alters her – keine Sorge, jetzt kommt nicht Wilhelm Busch für Alkoholiker, denn die gegenwärtigen Zeitläufte lassen sich noch ohne Likör bewältigen, – es ist also ein Brauch von alters her, mit guten Vorsätzen in ein neues Jahr zu gehen.

Dieses Bedürfnis verspürt auch die BaFin – zumal bei diesem Jahreswechsel, denn der hat es in sich. Unsere Welt, die Aufsichtswelt, wird sich stark ändern – hierzulande wie international. Und sie wird auch dieses Jahr wieder voller Risiken sein. Sollten neue Prüfungen auf uns warten, dann werden wir sie entschlossen angehen; nur so können wir sie bestehen. Also lautet die Nr. 1 unserer guten Vorsätze: beherzt in und durch das kritische Jahr 2011 zu marschieren – egal, was es uns bringen mag.

Darüber werde ich heute Abend nicht spekulieren, denn wenn man das tut, sagen die Japaner, dann lacht der Teufel. Und mit dem wollen wir es nicht auch noch zu tun bekommen. Die alt bekannten, höllisch schwierigen Probleme reichen völlig aus. Wir bauen aber darauf, dass 2011 ein Jahr der Problemlösungen wird – ein Jahr, in dem endlich die Dinge entschieden werden, mit denen wir uns schon viel zu lange abquälen.

Das gern als Ausrede gebrauchte Wort „unmöglich“ sollte schleunigst zum Unwort des Jahres erklärt und geächtet werden. Unmöglichkeiten sind, wie eine sehr kluge Frau – Hedwig Dohm – bemerkte, nichts anderes als die »Ausflüchte steriler Gehirne«. Und sie fügte hinzu: »Schaffe Möglichkeiten«. Das werden wir tun. Und das sollte sich noch manch anderer für das neue Jahr vornehmen. Ein besserer Vorsatz ist kaum denkbar.

Nun gibt es auf der anderen Seite Menschen, die an überbordender Kreativität leiden. Solche Exemplare findet man glücklicherweise – oder soll ich sagen: leider – auch unter den Mitgliedern internationaler Regulierungsgremien. Man muss ihnen nur Gelegenheit geben, diese Fähigkeit auszuleben. Im Gefolge der Finanzkrise eine neue globale Finanzarchitektur zu konstruieren, wie es die höchsten politischen Instanzen fordern, bietet die einmalige Chance, großartige Ideen zu entwickeln.

Doch Achtung: Im Hochgefühl, endlich den großen Wurf zu tun, laufen wir schnell Gefahr, einen über den Regulierungsdurst zu trinken – was später zu schlimmer Katerstimmung führen kann, wenn nämlich unvorhergesehene Nebenwirkungen die gut gemeinten Absichten zu Schanden werden lassen. Womit wir bei Basel III gelandet wären, dem neuen „opus magnum“ des Baseler Ausschusses für Bankenaufsicht.

Der Baseler Ausschuss hat in den letzten Tagen des vergangenen Jahres zwei Papiere veröffentlicht, mit denen er dem Schlagwort „Basel III“ eine detaillierte inhaltliche Gestalt gegeben hat. Er hat den Baseler Eigenkapital-Standard gehärtet, um das Bankensystem auch für den Fall außergewöhnlicher Belastungsproben abzusichern. Und er hat – eine Weltneuheit – zwei Liquiditätsstandards eingeführt, welche die Banken weniger anfällig gegen Liquiditätsanspannungen auf den Finanzmärkten machen sollen.

Mit diesem Riesenwerk hat der Baseler Ausschuss pünktlich den Auftrag erfüllt, den ihm die Staats- und Regierungschefs der G20 auf ihrem Gipfel in Pittsburgh im September 2009 erteilt hatten: bis Jahresende 2010 den Kernbereich der internationalen Finanzregulierung neu zu definieren, um die Widerstandskräfte der Finanzmärkte gegen Krisen entscheidend zu stärken. Diese schwierige Aufgabe zu meistern, war für den Baseler Ausschuss nicht nur wichtig, weil es hierbei um die bisher bedeutendsten Änderungen für die Finanzmärkte geht.

Der Ausschuss wollte auch beweisen, dass er unter den neuen Gegebenheiten handlungsfähig ist. Immerhin sind aus den ehemals 13 Mitgliedsländern 27 geworden, repräsentiert durch 45 Behörden. In der neuen Zusammensetzung in relativ kurzer Zeit einen Konsens über neue aufsichtliche Weltstandards zu erzielen, ist, für sich genommen, eine Leistung, die man kaum hoch genug würdigen kann.

Der Baseler Ausschuss musste auch deshalb so schnell arbeiten, weil an den Märkten große Unsicherheit darüber herrschte, wie hoch die neuen Belastungen der Institute ausfallen würden. Was den Eigenkapital-Standard angeht, haben die Märkte jetzt eine sichere Beurteilungsgrundlage und können die Folgen einschätzen.

Anders bei den Liquiditätsstandards. Diese werden erst in ein paar Jahren verbindlich eingeführt, und ihr Inhalt steht noch nicht endgültig fest. Das geht leider nicht anders, denn der Baseler Ausschuss beschreitet mit den beiden Liquiditätskennziffern neue Wege und wird seine Entscheidungen vernünftigerweise erst nach einer mehrjährigen Testphase treffen. Die Marktteilnehmer hält das allerdings nicht davon ab, schon heute auf die Entwürfe der Liquiditätsregeln zu reagieren, was zu schwer kalkulierbaren Verwerfungen in bestimmten Marktsegmenten führen kann. Der Baseler Ausschuss wird deshalb laufend zu prüfen haben, ob er die Entwürfe nicht schon in der Testphase immer wieder anpassen muss.

Wenn man bei internationalen Treffen mit führenden Bankern spricht, dann hört man immer wieder die Einschätzung, dass der neue Eigenkapital-Standard weltweit zu einer Zweiklassengesellschaft unter den Banken führen wird – eine, die sich in Gewinner und Verlierer teilt.

In die Kategorie „Gewinner“ fallen die Institute, von denen die Märkte annehmen werden, dass sie stark genug sind, die gesteigerten Anforderungen ohne Schwierigkeiten zu erfüllen. Auf der anderen Seite stehen die Institute, denen man dies, weil sie Schwächen zeigen, nicht zutraut. Wo auf der Welt die Trennlinie zwischen den beiden Gruppen verlaufen wird, hängt letztendlich davon ab, inwieweit die neuen Eigenkapital-Standards für bestimmte Banken noch weiter verschärft werden. Dazu sage ich gleich noch einige Worte.

Dass es in Zukunft unter den Banken solche geben wird, die aufgrund der neuen hohen regulatorischen Anforderungen zu Verlierern deklassiert werden, kann natürlich kein Grund sein, auf schärfere Regeln zu verzichten. Das Bankensystem war unterkapitalisiert und, wie sich in der Krise zeigte, von der Liquidität her in einem beklagenswerten Zustand. Es steht also außer Zweifel, dass Remedur geschaffen werden muss.

Problematisch wird es aber dann, wenn wegen zu hoher regulatorischer Anforderungen zu viele Banken in die zweite Liga absteigen. Denn wer dort spielen muss, dem geht es schlecht. Welche Investoren werden bereit sein, bei ihnen die notwendigen Kapitalerhöhungen zu zeichnen? Wenn Banken erst einmal diskreditiert sind, weil sie nach Ansicht der Märkte kein überzeugendes Geschäftsmodell haben, dann wird auch der Münchhausen-Trick nicht funktionieren: Bei solchen Banken wird durchweg die Gewinnsituation für eine interne Eigenkapitalstärkung nicht ausreichen – ein Zustand, der sich unter den erhöhten Eigenkapital-Anforderungen von Basel III eher noch verschlechtern dürfte. Mit der Folge, dass sich die Renditen von Bankaktien generell auf einem niedrigen Niveau einpendeln werden.

In aller Welt werden Banken, denen man die Lösung ihres Eigenkapitalproblems nicht zutraut, über kurz oder lang auch Funding-Probleme bekommen. Das ist die letzte Konsequenz einer Triage durch die Märkte. Und dann wird es wirklich ernst. Wenn sich die eine oder andere schwächere Bank, die längerfristig keine Überlebenschance hat, zu einem geordneten Abgang entschlösse, wäre das sicher verkraftbar, ja sogar erwünscht. Schlimm wäre es, wenn zu viele Banken durch den Selektionsprozess der Märkte in Kalamitäten gerieten, denn dann hätte es die Welt wieder mit unschönen systemischen Fragen zu tun.

Nun wird sich kein Institut einfach in sein Schicksal ergeben, sondern um seine Zukunft kämpfen. Kann sich ein Wackelkandidat nicht dadurch retten, dass er sein wenig aussichtsreiches Geschäftsmodell ändert, um sich zu stabilisieren? Wenn das so einfach wäre. Keine Bank kann von einem Tag auf den anderen ein wenig erfolgreiches Geschäftsmodell einfach umstellen, und viel Zeit werden die Märkte den schwächeren Instituten für grundlegende Veränderungen nicht einräumen. Es ist zwar relativ leicht, Geschäftsaktivitäten einzustellen, die nicht mehr wettbewerbsfähig sind oder keinen Sinn mehr haben, weil sie eine zu hohe Eigenkapitalunterlegung erfordern, ohne angemessene Erträge abzuwerfen. So werden wahrscheinlich etliche Banken ihr vom Ertrag her unbefriedigendes Kapitalmarktgeschäft aufgeben. Hierdurch wird zwar Eigenkapital freigesetzt. Doch darauf neue, ertragreiche Geschäftsaktivitäten aufzubauen, und das in überbesetzten Märkten, dieses Kunststück wird kaum einer Bank gelingen, schon gar nicht einer schwächeren.

Zu befürchten steht, dass es schließlich nur starken Instituten gelingen wird, sich an die veränderten Verhältnisse anzupassen – eine brutale Form von Finanzdarwinismus, noch dazu eine mit ironischer Wendung: Von den Finanzgiganten, die aus dieser Situation erwüchsen, würde ein noch höheres Systemrisiko ausgehen.

Sollten die schwächeren Banken zu dem Schluss gelangen, dass ihre Lage ziemlich aussichtslos ist, dann werden sie wahrscheinlich auf die fatale Idee kommen, ihre Risikoaktiva drastisch zu schrumpfen, um mit ihrem stagnierenden Eigenkapital den neuen Anforderungen genügen zu können. Die Idee ist deshalb fatal, weil dadurch schnell die Realwirtschaft in Mitleidenschaft gezogen würde, ohne dass auch nur das Überleben der betroffenen Banken gesichert wäre.

Wie verhält sich nun die BaFin in dieser Situation? Wir wollen natürlich alles tun, damit die größeren deutschen Banken, die in erster Linie von den neuen regulatorischen Standards betroffen sind, möglichst schnell und problemlos den Übergang in die neue Basel III-Welt schaffen. Frei nach der schönen Liverpooler Fußballhymne „You‘ll never walk alone“ werden wir die Banken auf ihrem Weg begleiten und uns laufend vergewissern, ob sie mit ihren Planungen vorankommen.

Eine erste Abfrage haben wir bereits durchgeführt. Sie hat gezeigt, dass einige Institute klar sehen, was auf sie zukommen wird, und sich entsprechend auf den Ernst des Lebens vorbereiten. Bei anderen gibt es noch Steigerungspotenzial, und wir werden sie motivieren müssen, sich jetzt schleunigst ans Werk zu machen. Wobei die Betonung auf „schleunigst“ liegt. Der Markt ist ein strenger Herr. Die Gnade der großzügigen Übergangsfristen, die wir bei Basel III erreicht haben, wird er den international tätigen Banken nicht gewähren.

Besonders anstrengen müssen sich die Banken, die sich demnächst auf der Liste der „systemically important financial institutions“, der SIFIs, wiederfinden könnten. Nach der Grundsatzentscheidung des Financial Stability Board wird es „domestic SIFIs“ und „global SIFIs“ geben. Zumindest die „global SIFIs“, die G-SIFIS, müssen damit rechnen, dass ihnen durch internationale Vorgaben zusätzliche Eigenkapitalanforderungen auferlegt werden.

Im ersten Halbjahr 2011 müssen auf alle noch offenen, sehr schwierigen Fragen zum Thema SIFIs – und das sind eine Menge – überzeugende Antworten gefunden sein. Zum Beispiel auf diese: Geht auch von großen Versicherern ein solches Systemrisiko aus, dass sie zusammen mit den Banken auf der G-SIFI-Liste landen müssen, die bis Mitte des Jahres fertig sein soll? Und wenn ja, müssen sie dann gleich oder anders behandelt werden?

Das Hauptaugenmerk gilt allerdings den SIBs, den „systemically important banks“. Welche Banken werden auf die Liste der G-SIFIs geraten? Ich bin mir sicher, dass wir in den nächsten Wochen und Monaten einige seltsame Metamorphosen erleben werden: Manch nationaler Aufseher könnte versucht sein, allerlei Verrenkungen anzustellen, um seine Topbanken nicht unter die Kategorie „global“ fallen zu lassen. Warum nicht Riesenbanken zu bloßen „super regionals“ umklassifizieren oder – besser noch – als rein nationales Systemrisiko verharmlosen?

Die Crux ist, dass es bislang keine überzeugende Methode gibt, mit der sich G-SIFIs zweifelsfrei identifizieren ließen. Gleichwohl können Sie davon ausgehen, dass es irgendwann, bevor das erste Halbjahr 2011 verstrichen ist, eine G-SIFI-Liste geben wird, auf der dann schätzungsweise um die 25 große Bankengruppen erscheinen werden. Hoffen wir, dass dies wenigstens auf der Basis belastbarer Zahlen erfolgt, die mit einer Auswirkungsstudie bis Frühjahr eingeholt werden sollen.

Ist das getan, wird es noch schwieriger, nämlich wenn es um die Zuteilung erhöhter Eigenkapitalanforderungen geht: Soll man alle G-SIFIs über einen Leisten schlagen? Oder muss man Unterschiede im Grad der möglichen Systemgefährdung berücksichtigen, so sie denn feststellbar sind? Die ausländischen Aufseherkollegen, die ein Faible für dieses individuelle Vorgehen haben, bleiben bisher die Antwort schuldig auf die Frage, nach welchem Kriterium man dann den Kapitalzuschlag im Einzelfall bemessen sollte.

Aus deutscher Sicht spricht alles dafür, einfache, pragmatische Antworten zu suchen. Die Liste der Banken-G-SIFIs müsste sich eigentlich von selbst aufstellen. Elefanten erkennt man, wenn man sie sieht. Man braucht dazu keinen Bauplan ihrer DNA in der Hand zu halten. Einfachheit sollte auch beim Kapitalzuschlag herrschen. Man wähle einen einheitlichen Satz für alle Banken-G-SIFIs, der sich in einem vernünftigen Rahmen hält. Das Wort „vernünftig“ kann man dabei gar nicht oft genug betonen, denn es muss für Kapitalanforderungen dann doch irgendwo eine Obergrenze geben.

Der Punkt, an dem man mit weiteren Anforderungen mehr Schaden als Nutzen anrichtet, ist schnell erreicht. Etwa dann, wenn die Anforderungen so negativ auf die Geschäftsmodelle wirken, dass eine Bank auf realwirtschaftlich bedeutsame Dienstleistungen verzichtet und stattdessen, um ihre Ertragskraft zu stärken, in Hochrisiko-Bereiche vorstößt, die sie wegen Lebensgefahr besser meiden sollte. Ich glaube deshalb nicht – und da unterscheide ich mich von einigen ausländischen Kollegen –, dass sich das Systemrisiko durch Kapitalzuschläge in Wohlgefallen auflöst.

Die G-SIFI-Banken sollten sich gleichwohl keine Hoffnung machen, doch noch den schmerzhaften Kapitalzuschlägen zu entgehen. Gern argumentieren sie damit, dass besondere Abwicklungsregimes für SIFI-Banken, wie sie zurzeit in vielen Ländern entwickelt werden, das Systemrisiko bannen können. Der deutsche Gesetzgeber hat sich hier mit seinem Restrukturierungsgesetz, das gerade in Kraft getreten ist und der BaFin eine Fülle weitreichender neuer Eingriffsbefugnisse beschert, im internationalen Vergleich an führender Stelle positioniert.

Doch auch in Deutschland gilt: Die stärkste Verteidigungslinie gegen das Systemrisiko besteht darin, die Risikoträger mit zusätzlichem Eigenkapital und einer gesteigerten Aufsicht gegen eine Insolvenz abzusichern. Die speziellen Restrukturierungsnormen kommen als Mittel der Schadensbegrenzung erst dann zur Anwendung, wenn diese erste Verteidigungslinie nicht standgehalten hat. Und wenn auch die Restrukturierung keinen Erfolg bringt, dann heißt es abwickeln.

Was sich mit speziellen Restrukturierungs- und Abwicklungsmaßnahmen bei einer international tätigen Bank erreichen lässt, bleibt allerdings abzuwarten. Die Wirkungskraft nationaler Gesetze endet bekanntlich an den Grenzen des eigenen Staates. Diese Hürde könnte man nur durch internationale Abmachungen überspringen, die für alle nationalen Behörden rechtlich bindend sein müssten. Leider wird es solche Abmachungen in absehbarer Zeit wohl nicht geben.

Nun kann ich sehr gut verstehen, dass sich die großen Banken vor Kapitalzuschlägen fürchten. Sie gehen aus gutem Grund davon aus, dass sie durch die nochmals erhöhte Kapitalunterlegung beträchtliche Teile ihrer Geschäftsvolumina verlieren werden. Die werden, noch ehe wir Aufseher es bemerken, in Bereiche der Finanzmärkte verlagert worden sein, wo sie ohne Kapitalkosten und ohne aufsichtliche Überwachung abgewickelt werden können.

Als erstes dürften die Verbriefungsaktivitäten verlagert werden, vorausgesetzt, die einschlägigen Märkte kommen in nächster Zukunft wieder in Gang. Doch auch andere Geschäftszweige könnten schnell den regulierten Bankensektor verlassen, wenn sie für die Institute nicht mehr genügend Erträge abwerfen. Kaum ein Institut wird sich noch den Luxus leisten können und wollen, Geschäfte zu betreiben, mit denen es vielleicht nicht einmal mehr seine Kapitalkosten verdient.

Je engmaschiger wir unser Netz für die regulierten Teile der Finanzmärkte knüpfen, desto ausgeprägter werden die Ausweichbewegungen, die in nicht oder nur schwach regulierte Gefilde führen. Für die Geschäfte in der Grauzone der Märkte hat sich der bildhafte englische Begriff „shadow banking“ eingebürgert. Auch die G20-Staats- und Regierungschefs haben ihn verwendet, als sie auf ihrem Gipfeltreffen in Seoul im vergangenen November das Financial Stability Board aufforderten, zusammen mit anderen internationalen Standardsetzer-Gremien bis Mitte 2011 Empfehlungen auszuarbeiten, die folgendes Ziel haben sollen – ich zitiere das englische G20-Dokument im Original: „to strengthen the regulation and oversight of the shadow banking system“.

Ich habe mit dem Begriff „shadow banking“ meine Probleme, weil er – wie sollte es anders sein – recht unscharf ist. Eine allgemein gültige Definition gibt es nicht und kann es auch nicht geben, weil sich die Erscheinungsformen des „shadow banking“ laufend ändern und weil es oft um hochkomplexe und stark arbeitsteilige Geschäfte geht. Ich hoffe, dass wir uns in den internationalen Regulierungsgremien nicht in endlosen Diskussionen darüber verzetteln, was der Begriff „shadow banking“ umfasst und was nicht.

Schon das Wort „banking“ könnte als Einschränkung missverstanden werden. Es suggeriert, dass es nur um solche Aktivitäten geht, die bankentypisch sind und eine enge Verbindung zum regulierten Bankensystem aufweisen. Darauf könnten sich diejenigen berufen, die ein gesteigertes Interesse haben, den Anwendungsbereich der neuen politischen Initiative so weit wie möglich einzugrenzen. Denn es soll ja Finanzplätze geben, die dem „shadow banking“ eine Heimat bieten und stark von ihm profitieren.

Auch der Begriff „oversight“, den die Staats- und Regierungschefs verwendet haben, ist nicht ohne Tücken. Man kann ihn so auslegen, dass es eine Alternative zu harter Regulierung gibt. Harte Regulierung würde bedeuten, die Unternehmen, die eine bisher unregulierte Form des „shadow banking“ betreiben, unter Aufsicht zu stellen. Eine im Vergleich dazu weiche Lösung wäre wohl vor allem ein makroprudentieller Ansatz, bei dem die Regulatoren bis auf weiteres die Entwicklung nur beobachten würden. „Monitoring“ heißt das im internationalen Aufsichtsjargon, und es ist – für sich genommen – nicht viel wert, denn allein mit Monitoring lässt sich das globale Finanzsystem nicht stabil halten.

Was also tun? Der Anreiz, durch Ausweichen ins Schattenbankensystem Regulierungsarbitrage zu betreiben, ist durch die Erhöhung der Eigenkapitalanforderungen für Banken stark gestiegen. Wir müssen dieses gefährliche Spiel stoppen, indem wir die Schattenspieler durch harte Regeln an die Kandare legen, sonst wird der Schattenbankenbereich der Wachstumssektor der Finanzindustrie.

Dazu müssen wir mit den Scheinargumenten aufräumen, mit denen das Schattenbankenwesen legitimiert wird. Es ist eine Mär, dass Unternehmen, die an den Finanzmärkten riesige Kapitalströme lenken, keine Risiken für das Finanzsystem, sondern lediglich Risiken für die Portemonnaies reicher Privatleute begründen, denen es nichts ausmacht, wenn Teile ihres Vermögens verzockt werden. Risikomäßig abgeschottete Bereiche gibt es nicht im internationalen Finanzsystem.

Glauben wir wirklich, dass es keine Auswirkungen auf das Finanzsystem hätte, wenn ein Hedgefonds – oder gar mehrere – zusammenbräche, nachdem er das Geld durchgebracht hat, das Versicherer und Pensionsfonds bei ihm investiert haben? Können wir es wirklich noch länger hinnehmen, dass immer mehr Kapitalanlagen den beaufsichtigten Finanzunternehmen entzogen werden und unkontrollierten Finanzmächten zufließen? Der alte Sponti-Spruch „Es gibt viel zu tun, warten wir’s ab“ ist zwar lustig, aber für die noch fehlenden Schritte zur Stabilisierung der Finanzmärkte wohl kaum das Motto der Wahl.

Meine Damen und Herren, eine Rede zu Beginn des Jahres 2011 kann nicht enden, ohne dass die neuen europäischen Aufsichtsbehörden darin vorkommen, die in den vergangenen Tagen ihre Tätigkeit mit einem fliegenden Start aufgenommen haben. In den ersten Sitzungen wurden in einer geheimen Wahl die Führungspositionen besetzt.

Die BaFin-Exekutivdirektoren Frau Lautenschläger und Herr Caspari hatten für die Managing Boards zweier Behörden kandidiert und sind beide mit hoher Stimmenzahl gewählt worden. Auf diesen Vertrauensbeweis unserer europäischen Kollegen sind wir sehr stolz. Die vierte Institution, der bei der EZB angesiedelte „Europäische Ausschuss für Systemrisiken“, wird am 20. Januar seine konstituierende Sitzung abhalten. Aus Zeitgründen verzichte ich darauf, Ihnen jetzt auch noch die großen Fragen der europäischen makroprudentiellen Aufsicht nahe zu bringen, obwohl es sich dabei um eine hochinteressante Materie handelt.

Die drei europäischen Aufsichtsbehörden rücken – im Vergleich zu ihren Vorgängern, die eher beratende Funktion hatten, – weiter von den nationalen Aufsichtsbehörden ab und näher an die Kommission heran. Hoffentlich nicht zu nahe, denn es ist wichtig, dass die drei neuen Aufsichtsbehörden völlig unabhängig sind, wenn sie ihre vielfältigen Befugnisse wahrnehmen. Dabei können sie sich auf die Aufsichtsexpertise der nationalen Behörden stützen, die in ihnen versammelt sind und bei denen weiter das Hauptgewicht der Finanzaufsicht in Europa liegt.

Die neuen europäischen Behörden können allerdings – in bestimmten Fällen und unter bestimmten Voraussetzungen – den nationalen Behörden Weisungen erteilen. Auch gegenüber Finanzinstituten können sie Beschlüsse treffen – nämlich dann, wenn die nationalen Behörden den Weisungen der EU-Behörden nicht gefolgt sind.

Ich bin gespannt auf die Reaktion der Finanzinstitute, wenn sie die ersten harten Beschlüsse dieser Art kassieren. Sie erhalten dann einen kleinen Vorgeschmack auf eine direkte europäische Finanzaufsicht, die sie seit Jahren lauthals fordern. Bald können sie auch erfahren, wie der Einfluss der EU-Kommission auf die Finanzaufsicht in der Praxis aussieht. Die technischen Aufsichtsstandards, -leitlinien und -empfehlungen, die für die Finanzunternehmen in der EU von großer Bedeutung sein werden, verabschieden zwar die in den EU-Aufsichtsbehörden versammelten nationalen Aufseher. Doch die Kommission hat durch ihr Ablehnungs- und Abänderungsrecht ein gewichtiges Wort mitzureden.

In den drei Aufsichtsbehörden für deutsche Interessen einzutreten, wird schwierig für uns werden. Unser Einfluss ist begrenzt. Das gipfelt darin, dass wir bei Abstimmungen, die grundsätzlich nach dem Prinzip „ein Land, eine Stimme“ ablaufen, das gleiche Gewicht wie Malta in die Waagschale werfen können. (Diese Feststellung sagt nichts gegen Malta, das meine besondere Sympathie genießt.) Wir werden uns daher von Beginn an ins Zeug legen, um in den drei Behörden die Meinungsführerschaft zu erringen. Das sind wir den deutschen Finanzunternehmen schuldig.

Meine Damen und Herren, ich könnte die Liste unserer Herausforderungen ohne Mühe verlängern, doch vom langen Reden bekommt man Atemnot. Vielleicht ist Ihnen ja auch so klar geworden, warum wir uns vorgenommen haben, beherzt in und durch das kritische Jahr 2011 zu marschieren.

Probleme sind bekanntlich Gelegenheiten zu zeigen, was man kann. Und so, wie ich meine Kolleginnen und Kollegen kenne, sind sie hoch motiviert, die vielfältigen Chancen wahrzunehmen, sich zu beweisen. Es gibt ja auch kaum etwas Schöneres, als ein weiteres Arbeitsjahr in einer routinefreien Zone. Als Journalisten, die uns eng begleiten, werden Sie in den nächsten Monaten verfolgen können, wie wir unsere guten Vorsätze in Aufsichtstaten verwandeln.

Sie haben sicher den für Ihren Berufsstand obligaten Vorsatz gefasst: Ihren Lesern, Zuschauern und Hörern Wirtschaftsjournalismus auf höchstem Niveau zu liefern. Meine guten Wünsche für das neue Jahr begleiten Sie dabei – in der Erwartung, dass wir Ihnen dafür, wie immer, genügend interessanten Stoff liefern werden. Diese Rede mag nicht dazugehören. Doch bedenken Sie: Wie so oft gilt bei der BaFin auch das unausgesprochene Wort.